Die offene Gesellschaft und ihre Zukunft
Forum am 11. Oktober 2025 in Nürnberg
© Gesellschaft für kritische Philosophie/Humanistische Akademie 2025
Programm
Ablauf
Uhrzeit Programmpunkt
13.00 Begrüßung
13.15 Einführung: Karl Poppers Konzept der „Offenen Gesellschaft“ –
und einige Hinweise auf Probleme seiner praktischen Umsetzung
(Dr. Frank Schulze)
Schwerpunkt I:
Theoretische Grundlagen und Gefährdungen der offenen Gesellschaft
13.45 Impulsvortrag: Jüngere philosophische Konzepte und ihr Gefährdungs-
potenzial für die offene Gesellschaft (Prof. Dr. Wulf Kellerwessel)
14.15 Diskussionsrunde 1
- Prof. Dr. Wulf Kellerwessel (Impulsreferent)
- Prof. Dr. Armin Pfahl-Traughber („Extremistische Denkstrukturen gegen
die offene Gesellschaft – die Extremismustheorie lernt von K. Popper“)
- Dr. Hans-Joachim Dahms (Poppers und Niemanns Warnung vor
„Mehrheitsdiktatur“)
15.30 Kaffeepause
Schwerpunkt II:
Offene Gesellschaft heute (und morgen)
16.00 Impulsvortrag: Freiheit verteidigen. Wie wir den Kampf um die offene
Gesellschaft gewinnen (Ralf Fücks)
16.30 Diskussionsrunde 2
- Ralf Fücks (Impulsreferent)
- Prof. Dr. Dr. h.c. Dieter Birnbacher („Tabus in der deutschen
Biopolitik”)
- Frederick Herget, M.A. („Künstliche Intelligenz und offene Gesellschaft:
Eine technologische Herausforderung für die Freiheit”)
17.45 Get-together (Foyer)
19.00 Ende der Veranstaltung
1) Moderation: Dr. Frank Schulze
2) Moderation: Prof. Dr. Wulf Kellerwessel & Dr. Frank Schulze
Im Rahmen der Diskussionsrunden werden die Podiumsgäste jeweils ein eigenes
weiteres Thema einbringen, das Sie der Klammer hinter dem jeweiligen Namen
entnehmen können. Zudem besteht auch für die Teilnehmenden ausreichend
Gelegenheit, Fragen zu stellen und Diskussionsbeiträge zu äußern. Im Rahmen des
Get-togethers kann bei Sekt und Häppchen weiterdiskutiert werden.
Themen der Inputs
Karl Poppers Konzept der „Offenen Gesellschaft“ – und einige Hinweise auf
Probleme seiner praktischen Umsetzung
Dr. Frank Schulze
Der Einführungsvortrag rekapituliert zunächst die Grundzüge von Poppers Konzept
der „Offenen Gesellschaft“. Als Ausgangspunkte dienen die Praxisorientierung des
Poppers’schen Denkens, Poppers Warnung vor den möglichen praktischen Folgen
dogmatischen, essentialistischen und utopistischen Denkens sowie seine Kritik an
Vorstellungen von einer weitreichenden Prognostizierbarkeit politisch-gesellschaft-
licher Entwicklungen („Historizismus“). Anschließend werden Individualismus,
Aufklärung, Liberalismus, negativer Utilitarismus, Herrschaftskontrolle und
„Stückwerk-Sozialtechnik“ als Grundprinzipien des Popper‘schen Konzepts
ausgewiesen und erläutert. Auf dieser Grundlage folgt die Reflexion einiger
Probleme, die beim Versuch der praktischen Umsetzung des Konzepts auftreten
können, namentlich im Zusammenhang mit negativem Utilitarismus, Herrschafts-
kontrolle und kritischer Rationalität, der Stückwerk-Sozialtechnik sowie den
Bindungs- und Identitätsoptionen, die eine offene Gesellschaft bieten kann.
Jüngere philosophische Konzepte und ihr Gefährdungspotenzial für die offene
Gesellschaft
Prof. Dr. Wulf Kellerwessel
Offene Gesellschaften geraten heute zunehmend unter Druck – auch durch
Positionen, die in der Gegenwartsphilosophie erarbeitet werden resp. in jüngerer
Zeit konzipiert wurden, nun aber breiter rezipiert werden. Diese treten auf
unterschiedliche Art und Weise für geschlossene oder zumindest geschlossenere
Gesellschaften ein. Der Vortrag präsentiert mehrere solcher Auffassungen, die
Spielarten des Kommunitarismus, Nationalismus und Faschismus darstellen, weist
auf deren (immense) Gefahrenpotenziale hin und diskutiert die angesprochenen
Positionen kritisch.
Freiheit verteidigen: Wie wir den Kampf um die offene Gesellschaft gewinnen
Ralf Fücks
Der zweite Impulsvortrag des Tages bietet zunächst eine „Phänomenologie der
demokratischen Rezession“, die fünf Phänomene in den Blick nimmt: 1. Das
Entstehen einer internationalen „autoritären Allianz“ (Russland, China, Iran u.a.),
die sich zunehmend aggressiv gegenüber der regelbasierten „liberalen Welt-
ordnung“ verhält, 2. das Scheitern des „Arabischen Frühlings“, 3. eine autoritäre
Regression „elektoraler Demokratien“ (z.B. Ungarn, Türkei), 4. den Aufstieg
populistischer Parteien und Politiker, 5. die Rückkehr des „starken Mannes“. Im
Folgenden identifiziert der Referent kulturelle, ökonomische und politische
Modernisierungsschübe als Treiber für die „antiliberale Konterrevolution“. Um
dieser zu begegnen, wirbt er abschließend für eine selbstkritische Erneuerung des
Liberalismus.
Schwerpunktthemen der Podiumsgäste
Extremistische Denkstrukturen gegen die offene Gesellschaft. Die Extremismus-
theorie lernt von Karl R. Popper
Prof. Dr. Armin Pfahl-Traughber
Armin Pfahl-Traughber wird darlegen, was die Extremismusforschung von den
Theorien Karl Poppers lernen kann. Er unterstreicht, dass Popper in „Die offene
Gesellschaft und ihre Feinde“ zentrale Denkfiguren derjenigen herausgestellt hat,
die geschlossene Gesellschaften propagieren. Diese wiederkehrenden Punkte
(essentialistische Deutungsmonopole, deterministisches Geschichtsverständnis,
kollektivistische Gesellschaftskonzeption, holistische Steuerungsabsichten und ein
postulierter Traditionalismus oder Utopismus) finden im Links- wie im Rechts-
extremismus sowie im islamischen Extremismus Widerhall. Bei deren Analysen lässt
sich, so der Podiumsgast, an Poppers Kritischen Rationalismus fruchtbar anknüpfen.
Armin Pfahl-Traughbers Kernthesen:
•
Gegenwärtig lässt sich in vielen Ländern eine Bedrohung für die moderne
Demokratie konstatieren, wird sie doch von extremistischen Kräften
unterschiedlicher ideologischer Orientierung delegitimiert und verworfen.
•
Der Kritische Rationalismus von Karl Popper dient in unterschiedlichem Sinne
dazu, dieses Phänomen zu erkennen, wird bei diesem doch die „offene
Gesellschaft“ als gesellschaftlicher Pluralismus verworfen.
•
Dabei lassen sich bei den extremistischen Akteuren bestimmte Denkstrukturen
konstatieren: ein essentialistisches Deutungsmonopol, eine kollektivistische
Gesellschaftskonzeption und eine holistische Steuerungsabsicht.
Poppers und Niemanns Warnung vor „Mehrheitsdiktatur“
Dr. Hans-Joachim Dahms
•
Entgegen Poppers und Niemanns Warnungen vor einer „Mehrheitsdiktatur“ ist
Demokratie in der Tat Volksherrschaft, allerdings in Form einer
repräsentativen Volksvertretung. In modernen, größeren Staaten können
direkte Demokratie und Referenden eine ständige Vertretung nicht ersetzen.
•
Popper und Niemanns Bevorzugung des Mehrheitswahlrechts (USA, GB)
gegenüber dem Verhältniswahlrecht überzeugt nicht, u.a. weil Ersteres das
Aufkommen neuer Politikangebote behindert und zu einer größeren
gesellschaftlichen Spaltung in zwei unversöhnliche Lager führt.
•
Popper und Niemann haben ein verkürztes Verständnis von den Aufgaben von
Parlament und Regierung. Ersteres wird nicht nur gewählt, um die Regierung
zu kontrollieren (und ggf. abzuwählen), sondern auch und vor allem, um ein
bestimmtes Programm durchzusetzen.
•
Popper und Niemanns Vorstellung vom Regierungshandeln in der Demokratie
als schrittweise, reversible Problemlösung ist z.T. unrealistisch. Politik muss
gerade in Zeiten plötzlich auftretender und gravierender Krisen auch ohne
den wünschenswerten Vorlauf der Auswahl und Bewertung alternativer
Handlungspfade Entscheidungen treffen, die manchmal auch nicht mehr
reversibel sind.
Tabus in der deutschen Biopolitik
Prof. Dr. Dieter Birnbacher
Medizinethische Fragen und ihre Behandlung in der deutschen Politik und Öffent-
lichkeit sind das Schwerpunktthema von Prof. Dr. Dieter Birnbacher. Er erörtert
bestehende Tabus im Umgang mit medizinethischen Fragen, die mit der Offenheit
der bundesrepublikanischen Gesellschaft nicht kohärent zusammenpassen. In seinen
kritischen Blick gelangen dabei vor allem Tabuisierungen, die menschliches Leid
verursachen, existenzielle Interessen übergehen und bei besonders dringlichen
Wünschen deren Realisierung verhindern. Dies betrifft Fragen der Reproduktions-
medizin, Fragestellungen im Zusammenhang mit der Erzeugung von Embryonen zu
Forschungszwecken und der Organtransplantation ebenso wie Wünsche, den eige-
nen Tod zu bestimmen. Kritisch betrachtet wird dabei vor allem auch der politische
Umgang mit den genannten Themenfeldern, der oft religiösen Überzeugungen einen
hohen Stellenwert einräumt, zugleich aber versucht, Handlungsfreiräume für
Betroffene offenzuhalten – was nicht selten zu problematischen Kompromissen
führe, deren Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz fraglich sei. Zudem werde
Intransparenz erzeugt, und den Bürgerinnen und Bürgern würden Widersprüche
zugemutet, die Irrationalität begünstigten, wo Rationalität besonders dringlich sei.
Dieter Birnbachers Kernthesen:
•
In seiner Biopolitik ist Deutschland eine allenfalls halboffene Gesellschaft.
Dogmen und Tabus behindern Forschung und Praxis.
•
Die deutsche Biopolitik neigt dazu, nicht verallgemeinerungsfähige und
ethisch nicht begründbare Tabus zugunsten von religiösen Minderheiten zu
schützen. Sie effektiviert diesen Schutz mit dem „scharfen Schwert“ des
Strafrechts, selbst dann, wenn er mit den Grundrechten unvereinbar ist.
•
Die Interessen der Geschädigten werden missachtet. Betroffenen bleibt
weitgehend nur der Weg ins Ausland. Forscher sind selbst im Ausland vor
Strafverfolgung nicht sicher.
KI und die offene Gesellschaft: Eine technologische Herausforderung
für die Freiheit
Frederick Herget
Frederick Herget bringt als sein Schwerpunktthema den Aspekt „Künstliche
Intelligenz und offene Gesellschaft“ ein - und damit ein wegen der derzeitig
rasanten Ausbreitung und beständigen Weiterentwicklung der Künstlichen
Intelligenz (KI) besonders wichtiges und weiter wichtiger werdendes. Denn die
technischen Entwicklungen werden ohne Frage auch zu gesellschaftlichen
Änderungen führen. Herget beschreibt Funktionsweisen und Anwendungsbereiche
von KI und zeigt exemplarische, gesellschaftlich relevante Konsequenzen auf, bei-
spielsweise die KI-gesteuerte Überwachung von Bürgerinnen und Bürgern in China
und die Schufa in Deutschland. Neben anderem thematisiert er auch politische
Einflüsse und die zunehmende gesellschaftliche Polarisierung sowie Vertrauens-
verluste aufgrund KI-gesteuerter Fehlinformationen. Er verweist jedoch auch
darauf, dass die KI selbst wiederum zur Lösung solcher Probleme beitragen kann.
Frederick Hergets Kernthesen:
•
Technologie (insbesondere KI) hat einen Eigensinn, der in gesellschaftliche
Prozesse eingreift und sie verändert.
•
KI ist derzeit die große halbe Unbekannte: bekannt genug, um als Sündenbock
verklärt zu werden - zu unbekannt, um ihre Gefahren und ihr Potenzial richtig
zu verstehen.
•
Der Siegeszug der KI fällt mit der säkularen Stagnation zusammen: der Phase
des wirtschaftlichen Niedergangs des Westens.
Tagungsort
Das Symposium findet in Nürnberg im Marmorsaal der „Nürnberger Akademie“ statt
(siehe die oberen zwei Fotos links auf dieser Seite). Bei dem Gebäude handelt es
sich um das ehemalige Gewerbemuseum, erbaut von 1892 von 1897 im Stil eines
repräsentativen neobarocken Schlosses. Das Museum war zugleich handwerkliche
und industrielle Bildungsstätte zur Vermittlung der künstlerischen Gestaltung von
Gebrauchsgegenständen - heute würde man „Design“ sagen.
Essen & Trinken
In der Kaffeepause (15.30 - 16.00 Uhr) wird es nicht nur Getränke, sondern auch
süße und herzhafte Kleinigkeiten zu essen geben. Dies ist im Teilnahmebeitrag
inbegriffen.
Während des Get-togethers (17.45 - 19.00 Uhr) gibt es alkoholfreie Getränke und
Knabbereien. Beides ist ebenfalls im Teilnahmebeitrag enthalten. Zudem wird Sekt
angeboten.
Wer vor der Veranstaltung ein Mittagessen in Nähe zum Tagungslokal einnehmen
will, kann dies z.B. im Restaurant Heilig-Geist-Spital tun, das ca. 5 Gehminuten
entfernt reizvoll in der Nürnberger Altstadt liegt (siehe die drei unteren Fotos links
auf dieser Seite; Lageplan und Wegbeschreibung im PDF ebenda).
Der Weg vom Tagungslokal zum Heilig-Geist-Spital;
hier der Lageplan mit Wegbeschreibung als
PDF-Download.
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